Freitag, 29. August 2014

"Reicht das so?"

Geschichten, die das Leben schrieb, können den Glauben und das, worauf es im Christentum wirklich ankommt, oft besser verdeutlichen als theoretische Abhandlungen. Abbé Pierre Lefèvre stellt uns – im dritten Band von „Kleine Geschichten – große Wahrheiten“ – solche Geschichten vor:

Wenn man auf den Bus warten muss, hat man oft das Gefühl, Zeit zu verlieren. Aber nicht immer ist es verlorene Zeit. Eine Frau aus Deutschland erzählt:

Vor drei Jahren wartete ich in einer Großstadt auf den Bus. Er kam und kam nicht. Da näherte sich eine Prostituierte. Als sie versuchte, sich an die Männer in unserer Nähe heranzumachen, rief ich innerlich zu Jesus: „Du bist der Retter, rette sie!“ Als die Frau bei den Männern keinen Erfolg hatte, kam sie auf mich zu. Ich wischte sorgfältig die Regentropfen vom Sitzplatz neben mir weg. Sie staunte über meine Geste und fragte, weshalb ich das tue. – „Ich möchte verhindern, dass Sie sich schmutzig machen.“ Sie steht staunend da und sagt: „Das ist aber nicht gerade häufig, diese Aufmerksamkeit für andere.“ – „Das stimmt, und deshalb ist man ja auch oft allein.“ Sie stößt einen tiefen Seufzer aus und sagt: „Einsamkeit, das kenne ich!“ – Ich entscheide mich, sie zu duzen, und wage den ersten Schritt: „Du kennst die Einsamkeit, aber kennst du auch Jesus?“ Sie überlegt. „Ist das der, den sie Christus nennen?“ – „Ja, er ist dein Retter.“ – „Er kann mich retten? Wann?“ – „Ich weiß es nicht, bitte ihn darum. Er kommt und rettet dich.“
Sie steht auf, faltet die Hände, schließt die Augen und fleht laut: „Jesus, rette mich!“ Dann wendet sie sich wie ein kleines Mädchen, das sein Bestes versucht hat, an mich und fragt: „Reicht das so?“ „Ja, das reicht. Mach das oft so, dann wird er dich retten.“ Da gerade der Bus kam, kritzelte ich schnell meine Telefonnummer auf einen Zettel und gab ihn ihr.
Mehrere Monate vergingen. Eines Abends rief sie mich an und bat darum, mich mit ihr zu treffen. Sie fügte hinzu, sie sei nicht allein. In der Tat, als ich ankam, waren da fünf Prostituierte. Sie erzählten mir, jeden Tag träfen sie sich, um eine halbe Stunde lang zu wiederholen: „Jesus, du bist der Retter. Komm und rette uns!“ Sie luden mich ein, mich ihnen anzuschließen, wenn ich könnte.
In den folgenden Monaten wuchs die Gruppe. Schließlich waren es 27 Personen. Manchmal versuchte ich, ihnen eine kleine Katechese zu halten, doch sie antworteten mir: „Das wissen wir schon. Jesus hat es uns gelehrt!“
Heute, nach zwei Jahren, haben diese Prostituierten im Sakrament der Versöhnung eine Antwort auf ihr Beten empfangen und beschlossen, ihr Leben radikal zu ändern. Oft haben sie auf ganz unerwartete Weise Arbeit gefunden, viele haben kirchlich geheiratet, Kinder bekommen und führen ein Familienleben in Treue und im Gebet. Einige machen sogar eine Katechetenausbildung, um dann Zeugnis zu geben von der wunderbaren Begegnung, die ihr Leben verändert hat. Für Gott ist nichts unmöglich!

Aus "Kleine Geschichten - Große Wahrheiten (Band 3)" von P. Pierre Levebvre

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