Montag, 14. Juli 2014

Tausend Kilometer für eine Beichte

Ein Priester aus Südkorea erzählt:
Der Krieg in Korea (1950–1953) ging seinem Ende entgegen. Die ganze Nacht feuerten die UN-Truppen ihre Geschosse vom Nam-san (Berg südlich der koreanischen Hauptstadt Seoul) herunter, und die Nordkoreaner schossen hinauf. Es war ohrenbetäubend, pausenlos feuerten die Kanonen drauflos, die ganze Stadt Seoul bebte. In jeder Straße, in jeder Gasse ausgebrannte, ausgebombte, zerstörte Häuser, hier und dort Leichen, in den letzten Zügen liegende Schwerverwundete, Feuerschein und Rauch. Überall fürchterliches Getöse, markerschütternde Schreie, Hilferufe. Die Hölle war los. Auch unser Luftschutzbunker war von Feuer und Rauch umgeben. Da gewahrte ich plötzlich, wie sich mir ein nordkoreanischer Soldat und eine Frau mittleren Alters näherten. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Da hörte ich wie von Weitem: „Hochwürden, Hochwürden!“ Ich dachte: „Weshalb ruft man unter diesen Umständen laut nach dem Priester? Der nordkoreanische Soldat bringt mich um!“ Doch nein, nicht von weit her kam die Stimme, sondern direkt vor mir stand eine mir wohlbekannte Ordensfrau. Sie schüttelte und rief mich. Der Nordkoreaner, in einer Hand das schussbereite Gewehr, fuchtelte mit der anderen Hand vor meinem Gesicht herum. Ich dachte: Das ist das Ende! Verzweifelt schrie ich: „Warum?“ Da kamen die Schwester und der Nordkoreaner ganz dicht zu mich heran. Einen Augenblick fragte ich mich, ob ich im nächsten schon tot sei. Da vernahm ich die von Tränen erstickte Stimme des nordkoreanischen Soldaten: „Hochwürden! Hochwürden!“, stammelte er. Er war ein Katholik! Er kam von Sinui-ju an der chinesischen Grenze, war bis zur südlichsten Stellung der Nordkoreaner vorgedrungen, hatte tausend Gefahren überstanden, und war nun auf der Flucht gen Norden.
Er legte beide Hände auf meinen Kopf, schob den Mund an mein Ohr und begann seine Beichte. Ich spürte seinen heißen Atem in meinem Ohr, seine Hände zitterten mitleiderregend auf meinem Kopf. Weil in dem kleinen Luftschutzbunker viele Menschen eng zusammengepfercht waren, musste die Beichte auf diese ungewöhnliche Weise vor sich gehen: in dem einen Ohr weiterhin den betäubenden Kanonendonner, Hilfeschreie, das Getöse der einschlagenden Granaten, in dem anderen Ohr gleich einem ratternden Maschinengewehr die Sünden, die der Nordkoreaner losschoss.
Endlich war die Beichte zu Ende. „Hochwürden, danke!“, sagte er. Sichtlich erleichtert ergriff er meine Hände und erzählte mir unter Tränen die aufregende Geschichte, wie er mich gefunden hatte: Als der Krieg ausbrach, hatte er die jahrelang vergeblich gesuchte Gelegenheit genutzt, in den Süden zu kommen, um dort einen Priester zu finden, dem er nach sechzehn Jahren zum ersten Mal wieder seine Sünden beichten könnte. Das war sein brennendster Wunsch, seine große Hoffnung. Wer in diesem Krieg Sieger oder Verlierer sein würde, interessierte ihn nicht. Nach Überquerung des 38. Breitengrades (Teilungslinie zwischen Nord- und Südkorea) hatte er jede erreichbare katholische Kirche aufgesucht, fand aber nirgends einen Priester. Er kam nach Seoul, suchte Tag und Nacht, aber wen er auch ansprach, niemand konnte oder wollte ihn zu einem Priester führen.
Er warf sich vor der großen Mutter-Gottes-Statue vor der Myeng-Dong-Kathedrale nieder und betete aus ganzem Herzen, die Mutter Gottes möge ihm einen Priester schicken. Weiter auf dem Weg nach Süden schlich er sich zu jeder nur denkbaren Kirche; aber stets mit dem gleichen Misserfolg.
Am Naktong-Fluss wurde seine Einheit vernichtet, nur er überlebte. Bevor er sich nach Norden zurückzog, machte er noch einige erfolglose Versuche. Er war sich klar, dass er in Nordkorea wohl zeitlebens keinem Priester mehr seine Sünden beichten könnte, und so zog es ihn nochmals zu der Marienstatue vor der Myeng-Dong-Kathedrale. Er warf sich vor ihr nieder, und als er so unter Seufzern mit seinem Gewehr auf dem Boden stampfte, ging gerade eine Ordensschwester vorüber. Sie brachte ihn in unseren Luftschutzbunker ...

Aus: Karl Maria Harrer, Die schönsten Mariengeschichten Bd. 2

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