Freitag, 18. Juli 2014

Allzeit bereit

„Manchmal sind die Tränen in unserem Leben die Brille, mit der wir Jesus sehen können“ (Papst Franziskus am Ostermontag 2013). Der Verlust irdischen Besitzes, Krankheit oder der Tod lieber Menschen kann für uns der Wendepunkt sein, aus der Abhängigkeit vom Vergänglichen herauszutreten und den Ewigen zu entdecken: Gott. Er führt ein Schattendasein in unserer Welt, weil das öffentliche Bewusstsein ihn weitgehend ausklammert und ihn nur heranzieht, wenn ein Unglück geschehen ist. „Wo war Gott?“, wird dann gefragt. Richtiger wäre zu fragen: „Wo waren wir?“

Was uns „erdet“

Die meisten Menschen leben in einer großen Gottferne, was der heutige Zeitgeist aber nicht als Verlust ansieht. Wir haben alles, was die Welt geben kann, doch im Innern gähnt eine Leere, die so viele – nicht nur die Reichen und Schönen – in Depressionen, Drogen und zum Selbstmord treibt. Was sind die Reichtümer, die uns vom Reich Gottes fernhalten? Papst Franziskus gab am 27. Mai 2013 die Antwort: Es ist die Wohlstandskultur sowie die Liebe zum Provisorischen. Er stellte fest: „Wir sind in das Provisorische verliebt.“ Die endgültigen Vorschläge Jesu „passen uns nicht“, während uns das Provisorische gefällt, weil wir „Angst vor der Zeit Gottes haben“. Wir fliehen das Endgültige und klammern Jesus aus, obwohl er doch der Herr der Zeit ist. Wir aber sind nur die Herren des Augenblicks, was sich daran zeigt, dass wir das Endgültige meiden: Wie klein ist die Zahl derer, die bereit sind, sich für immer zu binden – durch den heiligen Schwur vor Gott und Menschen – zur Ehe oder zum Priester- oder Ordensstand.
Man lebt „auf Zeit“, immer mit dem Hintergedanken, etwas Neues zu suchen, wenn das Alte nicht mehr gut läuft. Zu dieser sehr irdischen Haltung gehört die Wohlstandskultur, die sich weltweit ausbreitet und alle Entscheidungen darauf gründet, das bisher Erreichte auf jeden Fall zu sichern. Alles, was das Ersparte oder den Lebensstil gefährden könnte, ist out – weshalb man hierzulande oft auf Kinder „verzichtet“. Gleichzeitig haben Therapeuten aller Art Hochkonjunktur. Die wenigsten Menschen scheinen glücklich zu sein. Das, was ihre Seele erschüttert, ist das Ungleichgewicht in ihrem Leben zwischen dem Vergänglichen und dem Ewigen: Wer alles hat, was die Welt bieten kann, aber seine Seele verhungern lässt, wird letztlich lebensmüde. Paddy Kelly von der berühmten Kelly-Family erzählte in einer Talkshow, wie er auf dem Höhepunkt seiner Karriere aus dem Fenster springen wollte, weil er die innere Leere nicht mehr ertrug. Erst als er alles Weltliche hinter sich ließ, fand er Gott, und der Glaube war der Beginn seines neuen und glücklichen Lebens.

Unsere Identität

Paulus erinnert uns daran, dass wir in Jesus Christus „nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ sind (Eph 2,19). Wir dürfen und sollen das Irdische mit Freude und Dankbarkeit gebrauchen, doch anstatt das Vergängliche zu vergötzen, sollten wir daran denken, dass alles nur „geleast“ ist. Unsere Wurzeln liegen dort, wo unsere Zukunft liegt: In der Ewigkeit Gottes.
Jeder Mensch ist durch Gottes ewige Liebe gewollt und ins Leben gerufen worden. Weil die Liebe kreativ ist, sind wir nicht alle identisch, sondern jeder kann und darf Gott und die Mitmenschen auf einzigartige Weise lieben – so, wie niemand sonst es kann. Jeder ist berufen, eine oder mehrere Facetten der Liebe Gottes durch sein Leben aufscheinen zu lassen. Die selige Mutter Teresa beschrieb es so: „Was du tust, kann ich vielleicht nicht tun. Was ich tue, kannst du vielleicht nicht tun. Aber wir tun alle zusammen etwas Schönes für Gott.“

Wie ein Heißluftballon

Jesus stellte fest: „Ein Reicher wird nur schwer in das Himmelreich kommen“ (Mt 19,23). Wahrhaftig frei ist, wer nie aus dem Blick verliert, dass uns der Ruf des Vaters jederzeit ereilen kann: „Mein Kind, es ist Zeit, nach Hause zu kommen!“ Paulus betont (Phil 3,20): „Unsere Heimat aber ist im Himmel.“ Wenn dieser große Tag gekommen ist, will unsere Seele nur noch eins: so schnell wie möglich aufsteigen, hoch empor, wo der Vater darauf wartet, sein Kind in die Arme zu schließen. Ein Heißluftballon bleibt am Boden, bis das Seil gekappt und der Ballast abgeworfen wird. Dann steigt er senkrecht auf, und die Flamme des Brenners trägt ihn immer höher. Unsere Seele will genauso aufsteigen, aber die vom Papst erwähnten Reichtümer hindern sie daran. Das Seil ist der Wohlstand, der Besitz, der uns so am Herzen liegt und an den mancher sich noch auf dem Sterbebett klammert. Zum Ballast wird uns alles Provisorische, dem wir anhängen – jeder verpasste Moment, in dem wir nicht dem Ruf der Liebe folgten, sondern dem Egoismus. Wie viele Seelen sind nicht „allzeit bereit“, weil sie am Groll und der Unversöhntheit festhalten! Eine solche Seele steigt nicht auf, sondern bleibt in den Niederungen des Bodennebels gefangen.Gott ist die Liebe, eine selbstlose, vergebende Liebe. Jesus hat das durch sein Leben bezeugt. Wer liebt wie er, verwandelt irdische Momente in ewige – denn „die Liebe hört niemals auf“ (1 Kor 13,8).
Die Heiligen waren Liebende, bei vielen blieb der tote Leib noch Jahrhunderte unverwest, um uns daran zu erinnern, dass die Liebe nie vergehen wird. In jeder hl. Messe bittet der Priester darum, dass Gott uns helfen möge, dass wir „voll Zuversicht das Kommen unseres Herrn Jesus Christus erwarten“ (Embolismus). In den Sakramenten, vor allem der Eucharistie und Beichte, will Gott uns die
Gnade, lieben zu können, schenken. Haben wir „Zeit“ für Gott? Nehmen wir uns die Zeit, nicht nur den Körper oder das Haus zu pflegen, sondern auch die Seele? Papst Franziskus rief in seiner Predigt am Herz-Jesu-Fest aus: „Dies mag wie Ketzerei erscheinen, ist aber die größte aller Wahrheiten: Schwieriger als Gott zu lieben ist, sich von ihm lieben zu lassen! Viel Liebe zurückzugeben heißt, das Herz zu öffnen und uns lieben zu lassen! Zuzulassen, dass er sich uns nähert, und ihn nah zu fühlen. Zuzulassen, dass er zärtlich ist, uns liebkost.“ Sich von Gott lieben lassen – das ist möglich in der Anbetung vor dem Tabernakel, aber auch in den Sakramenten der Eucharistie und Beichte und im Gebet. Seine Liebe wird uns verwandeln, unsere irdischen Momente zu ewigen Momenten der Liebe machen und uns helfen, allzeit bereit zu sein für den Tag, an dem er kommt.

Beatrix Zureich

(Zuerst erschienen in "Maria - Das Zeichen der Zeit" Nr. 157)

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