Jeden Tag navigieren wir durch eine Flut von Worten, von denen wir die meisten schnell vergessen. Und doch sind wir, aber auch unsere Mitmenschen, geprägt von eigenen und fremden Worten und den Gedanken, die die Wurzeln unserer Worte sind. Auch gute Christen sind nicht gefeit vor negativem Denken und Reden. Wie schnell geraten wir gerade durch unsere Zunge in die Negativ-Falle! Schon im Alten, aber auch im Neuen Testament wird die Gefahr, in die uns unsere Zunge bringt, oft thematisiert. Besonders deutliche Worte fand der Apostel Jakobus (Jak 1,26): „Wer meint, er diene Gott, aber seine Zunge nicht im Zaum hält, der betrügt sich selbst und sein Gottesdienst ist wertlos.“ Jakobus führt dies näher aus (Jak 3,5–6,9–10): „... wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt! Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist der Teil, der den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber ist von der Hölle in Brand gesetzt ... Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater und mit ihr verfluchen wir die Menschen, die als Abbild Gottes erschaffen sind. Aus ein und demselben Mund kommen Segen und Fluch. Meine Brüder, so darf es nicht sein!“
Wer Gutes über andere sagt, ist ein Segnender, denn segnen bedeutet „Gutes sagen“ (benedicere). Das Gegenteil drückt das lateinische Wort maledicere, „Böses sagen“, aus: lästern, schimpfen und verleumden. Die wenigsten Menschen sind sich der gravierenden Folgen ihrer Worte bewusst, die sogar zum Fluch werden können. So berichten die Medien oft von Kindern, die Selbstmord begehen, weil sie gemobbt werden – d.h. andere haben schlecht über sie geredet, und dies auch auf öffentlichen Plattformen wie Facebook, die „nichts vergessen“. Das Internet ist unbarmherzig, denn selbst wer Einträge löscht, weiß nicht, ob andere diese schon kopiert und weiterverbreitet haben. Was einmal ins weltweite Netz eingegeben wurde, ist kaum mehr zu eliminieren. Ähnlich verhält es sich auch mit unseren negativen Worten: Wir haben den Vorfall längst vergessen, aber in denen, die uns hörten, können diese Worte noch lange nachwirken. Wie oft sind z.B. Therapeuten mit Erwachsenen konfrontiert, deren Probleme in der Kindheit wurzeln, in Worten wie: „Du taugst nichts! Du bist an allem Schuld“ oder Schlimmerem.
Erneuerung des Denkens
Wer negativ denkt und spricht, ist meist selbst verletzt und teilt deswegen aus. Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, bedarf es der Heilung. Hier ist das Sakrament der Beichte segensreich, dasuns hilft, denen zu vergeben, die an uns schuldig wurden, indem wir erst auf unsere eigene Sünde schauen und vor Gott um Vergebung bitten. Wer stets um eigene Verletzungen und die Sünden anderer kreist, riskiert, selbst zu sündigen, indem er nicht vergibt und zum „Ankläger unserer Brüder“ wird (vgl. Offb 12,10).
Der hl. Märtyrer Stephanus, der aufgrund von Verleumdung gesteinigt wurde, rief sterbend (Apg7,60): „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an!“ Woher hatte er diese Kraft, Böses mit einem Fürbittgebet zu vergelten? Offensichtlich war es sein Verbundensein mit Jesus, sein Ausgerichtetsein auf den Himmel. Jesus, der selbst mit Worten der Vergebung starb, ist die Quelle dieser Liebe, die selbst beim Erleiden größten Unrechts nicht Rache, sondern Gutes für die Verfolger im Sinn hat.
Wider den Geist der Kritiksucht
Manchmal sind Christen nur darum bemüht, einmal selbst in den Himmel zu kommen. Das birgt die Gefahr eines „frommen Egoismus“, denn die beiden größten Gebote Jesu haben einen anderen Fokus: Gott und den Nächsten zu lieben (vgl. Mk 12,30f). Ein wahrer Christ will nicht „allein in den Himmel kommen“, sondern viele andere mitbringen. Wie ist das möglich? Indem wir so leben und handeln wie Jesus. Ein wichtiger Schritt dazu ist es, dem Geist der Kritiksucht zu widersagen. Oft meinen wir, anderen mit unserer Kritik zu „helfen“, doch selten genug ist unser Kritisieren konstruktiv. Könnten wir am Ende des Tages die Gedanken und Worte zählen, müssten wir womöglich mit Erschrecken feststellen, dass die positiven Worte und Gedanken in der Minderheit waren; dass wir mehr gemaßregelt und verurteilt haben als gedankt und gelobt ...Wer Jesus nachfolgen will, sollte sich den Blick Jesu zu eigen machen, der die Mitmenschen nicht auf ihr Sünder-Dasein reduziert, sondern ihr Potential zur Heiligkeit sieht – und alles tut, ihnen auf demWeg zu diesem Ziel zu helfen. Überwiegt aber unser negatives Denken und Reden, ist dies ein Anzeichen dafür, dass unser Ego stärker ist als unsere Nächstenliebe.Wie Jesus auf die Sünde seines besten Freundes reagierte, beschreibt Lukas (vgl. Lk 22,61): Petrus lässt Jesus im Stich, verleugnet ihn drei Mal. Jesus aber sieht Petrus nur an. Es muss ein Blick der Liebe gewesen sein, denn er führt zur tiefen Reue des Petrus. Jesus wird Petrus das Versagen nie vorhalten. Im Gegenteil, er vertraut ihm sogar seine Kirche an. Petrus schreibt später (1 Petr 4,8): „Vor allem haltet fest an der Liebe zueinander; denn die Liebe deckt viele Sünden zu.“ Petrus hatte es selbst erlebt, denn der
auferstandene Jesus hatte Petrus nach der dreifachen Verleugnung drei Mal gefragt (Joh 21,15–17): „Liebst du mich?“ Er gab Petrus die Chance, sein dreimaliges „Böses-Sagen“ umzukehren durch das dreimalige „Ich liebe dich “.
Immer, wenn wir negativ über andere sprechen oder denken, schaut uns Jesus mit demselben Blick an wie damals Petrus. Denn wir treffen Jesus, wenn wir andere vorschnell kritisieren, verleumden und ihnen gar jede gute Absicht absprechen. „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, sagt der Herr (Mt 25,40).
Bitten wir ihn um die Gnade, ganz frei zu werden vom Geist der Kritiksucht, und uns zu helfen, fortan ein Segen für jene zu sein, denen wir durch unser negatives Reden geschadet haben. Die Heiligen Stephanus, Petrus und Jakobus werden uns vom Himmel aus beistehen. Sie warten nur darauf, dass wir sie darum bitten.
Komm, Heiliger Geist, lenke unser Denken, Reden und Tun!
Beatrix Zureich
(Zuerst erschienen in "Maria - das Zeichen der Zeit" Nr. 156)
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